Friedhöfe können lebendige Orte sein. Mitten in der Stadt bieten sie Lebensraum für Tiere, die sonst keine geeignete Bleibe finden würden. Von den Menschen weitgehend unbemerkt, herrscht buntes Treiben sogar unter einer Friedhofsbank. Nachbarschaftshilfe wird dort allerdings trotz Corona-Solidarität nicht großgeschrieben: Der dicke Nachbar ist ein ziemlich giftiger Typ, und seine Kinder sind echte Schmarotzer.
Collectes cunicularius, die Frühlings-Seidenbiene oder auch Weiden-Seidenbiene ist eine von über 500 Wildbienenarten in Deutschland. Sie nistet im Erdboden, wie ca. 75% aller W ildbienenarten. Früher war sie recht häufig, doch durch Lebensraumverluste ist sie mittlerweile gefährdet. In Deutschland kommen etwa 20 verschiedene Seidenbienenarten vor. Die Seidenbienen haben ihren Namen von der Auskleidung ihrer Brutzellen mit einem cellophanartigen bzw. seidigen Sekret, welches in zwei Drüsen am Hinterleibsende und an der Unterlippe (Labium) gebildet wird. Die Frühlings-Seidenbiene nistet in selbstgegrabenen Gängen in der Erde, auf ebenen oder schwach geneigten, leicht oder kaum bewachsenen Flächen. Sie besucht mit Vorliebe Weiden, um sich und ihre Nachkommen mit Nektar und Pollen zu versorgen, nimmt aber auch andere Blüten zur Nahrungssuche.
Friedhöfe sind Naturoasen in der Stadt, Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen. Entscheidend dafür ist aber, dass es naturnahe Ecken auf den Friedhöfen gibt oder verschiedene Nisthilfen für Vögel oder auch für Insekten. Der NABU Leipzig engagiert sich im Projekt „Lebendige Friedhöfe“ für eine naturnahe Gestaltung von Friedhofsanlagen und kümmert sich um Artenschutzmaßnahmen. Mit Nisthilfen können einige Arten unterstützt werden, für andere ist die Gestaltung und naturnahe Pflege des Friedhofs wichtig, dann kommen sie von allein. Die Seidenbienen beispielsweise benötigen passenden, unversiegelten Boden und geignete Nahrunsgpflanzen in der Nähe.
Direkt neben der kleinen Kolonie der Seidenbienen ist auf dem Friedhof das Insekt des Jahres 2020 zuhause: der Ölkäfer (Meloe spec.). Auch diese Art ist mittlerweile durch Lebensraumverlust auf der Roten Liste Deutschland als gefährdet aufgeführt. Der Ölkäfer selbst ernährt sich von Pflanzenteilen, doch er gilt als Parasit von Wildbienen, denn seine Nachkommen, die Dreiklauer, warten auf Blüten auf Wildbienen, um sich von ihnen ins Nest tragen zu lassen. Dort verspeisen sie den Vorrat und das Wildbienenei, welches die Wildbiene dort abgelegt hat. Die giftige Körperflüssigkeit Cantharidin schützt die Käfer vor Fressfeinden. Bei Gefahr wird dieses an den Beingelenken mit einer gelblichen Flüssigkeit (daher der Name Ölkäfer) abgegeben – ein Vorgang, der auch „Reflexbluten“ genannt wird.
„Lebendige Friedhöfe“: Auch der Ölkäfer ist hier zuhause.