Es ist schon verblüffend wie unterschiedlich der derzeitige Zustand des Elsterstausees in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Am 18.09.2008 waren in der LVZ zwei Leserbriefe abgedruckt, die mit großem Bedauern das Sterben des schönen und traditionsreichen Elsterstausees beklagen. Auf der anderen Seite berichtet die LVZ am Tag darauf von der Begeisterung der Leipziger Ornithologen über die Schlammbänke, auf denen eine Vielzahl von Zugvögeln rasten und nach Nahrung suchen, darunter auch der sehr selten bei uns zu sehende Graubrust-Strandläufer.
Schauen wir uns die Sache also mal genauer an. Dabei kann ich dem geneigten Leser auch nur meine Sicht als Diplom-Biologe näher bringen, der in dieser Gegend von Leipzig aufgewachsen ist.
Schon seit einigen Jahren ist der Elsterstausee im öffentlichen Gespräch, da er zunehmend Wasser verliert. Die Ursache dafür ist zwischen der Stadt Leipzig und denen, die sich um den Erhalt des
Stausees engagieren, sehr umstritten. Doch wieso kann der See überhaupt Wasser verlieren?
Der Elsterstausee wurde einst als Fischereigewässer mitten in die zum Teil schon regulierte Aue gebaut. Dabei hat man nur wenig den Boden ausgehoben, sondern vor allem rundherum Dämme
aufgeschüttet und damit den Stausee über das bestehende Grundwasserniveau obendrauf gesetzt. Die Wasserspeisung erhielt er über den Mühlgraben, der bei Zwenkau die Elster verlies. Südlich von
Bösdorf zweigte ein Teil dann in einen Vorspeicher ab. Das Wasser wurde dann unter der tiefer liegenden Weißen Elster durch einen Düker geleitet. Der Elsterstausee war also von Anfang an kein
natürlicher See, sondern ein der Aue aufgesetztes Kunstprodukt.
Durch den Bergbau kamen dann massive Veränderungen auf den Stausee zu. Die südliche Hälfte verschwand im ehemaligen Tagebau Zwenkau mitsamt dem Graben der das Wasser zuleitete. Die Weiße Elster
selbst wurde über eine lange Strecke in einer Betonrinne um den Tagebau herum kanalisiert und aus Hochwasserschutzgründen auch gleich noch deutlich tiefer gelegt. Die Wasserzufuhr für den Stausee
erfolgte über Pumpen, die das Elsterwasser mehrere Meter hoch heben mussten. Endgültig das Grundwasser abgegraben wurde dem Gebiet mit dem Tagebau Cospuden. Der Wasserspiegel des Cospudener Sees,
der heute maßgeblich die Grundwasserhöhe der Umgebung bestimmt liegt auch mehrere Meter unter dem ursprünglichen Grundwasserspiegel der Aue und entwässert damit diese ursprünglichen Auengebiete
sehr stark. Dies wird besonders deutlich am Hainholz. Dieser ursprüngliche Hartholzauenwald wird immer mehr zu einem Wald frischer bis trockener Standorte.
Seit dem nun der Elsterstausee in den letzten Jahren zunehmend Wasser verliert und die Stromkosten für das Betreiben der Pumpen der Stadt Leipzig zu teuer wurden, kämpfen Bürger aus den
angrenzenden Ortsteilen von Leipzig engagiert und verbittert um die Erhaltung des Sees. So steht denn auch in den Leserbriefen geschrieben: „Eine Oase der Natur – unwiederbringliche Tier- und
Pflanzenwelt gehen verloren. Wer kann das rechtfertigen?“ (Sybille Schneider-Krebs) oder „Dieser See ist ein unersetzlicher Biotop, ein Naturreservat für eine große Vielfalt von
Wasservögeln und anderen Tieren. Eine Flora und Fauna, die man am nahe gelegenem Cospudener See vergeblich sucht.“ (Martin Albrecht)
Doch wie habe ich als Diplom-Biologe den See wahrgenommen? War er wirklich ein so einmaliges und unwiederbringliches Biotop? In erster Linie war es ein Fischereigewässer, welches durch die
intensive Fischmast zu DDR-Zeiten stark überdüngt war. Erst nach der Sanierung in den 1990er Jahren gewann er etwas an Lebensraumqualität. Bis auf den Strandbereich sind seine Ufer relativ steil
geneigt und werden mit groben Bruchsteinen befestigt. Von einem natürlichen Ufer mit ausgeprägtem Röhrichtgürtel kann hier also keine Rede sein.
So ein für naturschutzfachlich wertvolle Gewässer typischer Röhrichtgürtel findet sich nur im Strandbereich. Auch die für natürliche Gewässer kennzeichnende Schwimmblattvegetation hat sich erst
in den letzten Jahren etabliert, als der Seespiegel deutlich abgesunken war.
Allerdings südlich des Elsterstausees hat sich eine Bachaue entwickelt, die weit artenreichere Röhricht- und Sumpfgebüsche aufweist. Auch die zu solchen Biotoptypen gehörende Insektenwelt ist
hier sehr viel artenreicher. Im Gegensatz zum Elsterstausee konnte ich in der Bachaue auch gefährdete Arten, die in den Roten Listen aufgeführt werden, nachweisen. Und auch der wesentlich größere
Röhrichtgürtel zwischen dem Bisongehege an der Bistumshöhe und dem Cospudener See besitzt eine höhere Artenfülle und einen größeren naturschutzfachlichen Wert, als der am Elsterstausee. Damit
soll nicht gesagt werden, dass der am Elsterstausee wertlos wäre, doch im Vergleich mit den neu entstandenen Lebensräumen in der Umgebung kann eine Einzigartigkeit oder Unwiederbringlichkeit
nicht festgestellt werden.
Bleiben noch die Wasservögel. Als Kind war ich begeistert, wenn ich auf dem Elsterstausee die Gänsesäger bei ihrer Überwinterung beobachten konnte. Im Sommer war wegen des Trubels am See sowieso
nicht viel Platz für Wasservögel. Eine Zeit lang übernahm der Cospudener See diese Rolle als Winterrastgewässer, landeten hier doch tausende Gänse. Doch mit der zunehmenden Gewässernutzung des
Cospudener Sees geht es trotz der Ausweisung des Südzipfels als Vogelschutzgebiet rapide mit der Anzahl an Wintergästen abwärts. Vor allem von dem ohne Sichtschutz angelegtem, reichlich
begangenem Rundweg geht eine starke Beunruhigung des Gebietes aus. So gewann der Elsterstausee für einige Vogelarten wieder an Bedeutung als Rastgewässer. Für die Ansprüche von Gänsen war er
allerdings zu klein.
Ornithologisch wirklich bedeutend und wertvoll wurde der Elsterstausee erst, seit dem er durch den temporären Verlust des Wassers seine Schlammbänke freigibt. Hier sind es nun die Watvögel, wie
Kampfläufer, Strandläufer, Flussregenpfeifer oder Kiebitze, die wir sonst nur im NSG Stöhna-Becken oder im NSG Kulkwitzer Lachen beobachten könnten, die jetzt hier eifrig den Schlamm nach Nahrung
absuchen. Allerdings bilden sich die wertvollen vegetationsarmen Schlammbänke nur heraus, wenn sie vorher einige Monate mit Wasser überstaut waren. Ansonsten würden wir hier auf dem
nährstoffreichen Grund eine dichte Vegetation oder Röhricht vorfinden.
Überhaupt sehe ich in dem teilweisen Wasserverlust des Gebietes eine deutliche Wertsteigerung. In einigen Randbereichen haben sich bereits interessante Fluren temporärer Gewässer herausgebildet.
So blühen hier Strand-Ampfer, Ampfer-Knöterich, Wasserpfeffer, Gewöhnliche Sumpfkresse, verschiedene Weidenröschen u. a. Aber auch diese interessanten und in unserer Region seltenen Fluren können
sich nur herausbilden, wenn die Flächen über eine längere Zeit so hoch mit Wasser überstaut werden, dass sich kein Röhricht etablieren kann, dann aber auch wieder einige Monate wasserfrei sind.
Diese Wasserwechseldynamik, wie sie vom NABU in den Papitzer Lachen simuliert wird, benötigt aber auch zeitweise eine enorme Wassermenge.
Wenn kein Wasser weiter zugeführt wird, so zieht sich der Wasserspiegel auf eine Rinne zurück, die der noch nicht verschlammte Rest des ursprünglichen Bettes der Weißen Elster ist, bevor diese
zum ersten Mal begradigt wurde. In dieser Rinne würde je nach Niederschlagsintensität der Wasserspiegel stark schwanken, in sehr trockenen Sommern auch ganz versiegen.
Durch Niederschlag wird sie immer wieder mit neuem Wasser gespeist, welches aus dem gesamten ehemaligen Seebecken zu ihr läuft. So kann sich eine größere Wasserwechselzone herausbilden. Dies
führt im Kernbereich insgesamt zum Entstehen einer sehr wertvollen Weichholzaue, wie sie durch die Hochwasserregulierung und -einengung unserer Fließgewässer in Leipzig nur noch außerordentlich
selten zu finden ist. Die Uferbefestigung aus groben Bruchsteinen würde sich durch das Trockenfallen zu einem wertvollen Lebensraum mit Nischen für Eidechsen und andere Kleintiere, ähnlich den
früher typischen Lesesteinhaufen, entwickeln.
Schon im Mai waren im Strandbereich eine Menge an Ahorn-Keimlingen und -Jungpflanzen zu finden. Liese man die ursprüngliche Seefläche völlig ungenutzt, würde sich hier rasch ein sehr dichter Wald
etablieren, der zu einem großen Anteil aber aus nicht heimischen Baumarten, wie dem sich invasiv ausbreitenden Eschenblättrigen Ahorn, bestehen würde. Aus diesem Grund ist dringend eine geeignete
Nutzung der neu entstehenden Biotope erforderlich, die die wertvollen offenen Bereiche erhält. Für mich ausgesprochen reizvoll wäre deshalb hier ein Wildgehege mit Wisenten, die man vom Damm aus
beobachten kann. Die Wisente würden dann auch in Teilbereichen die Vegetation niedrig halten, so dass Limikolen hier möglicherweise sogar Brutmöglichkeiten fänden. Ein Stück Ursprünglichkeit
würde dann in unsere Leipziger Aue zurückkehren, vom Aussterben bedrohte Lebensräume zusammen mit einer vom Aussterben bedrohten Wildtierart. Und für die Naturfreunde der Umgebung bliebe ein sehr
interessanter Lebensraum zum Beobachten, Erholen und Studieren, auch wenn es dann kein See mehr ist.
Bleibt noch eins anzumerken: Es ist bedauerlich, dass in Auseinandersetzungen um Naturnutzungen der Naturschutz von Bürgern als Waffe bemüht wird, ohne den wirklichen naturschutzfachlichen Wert
einer Landschaft zu untersuchen und zu bewerten. Es ist für mich sehr wohl verständlich und berechtigt, dass die Anwohner der Region um ihre gewohnte, lieb gewordene und traditionelle Umwelt
kämpfen. Aber die Benutzung von Behauptungen von unwiederbringlicher oder einzigartiger Natur in Verbindung mit dem ursprünglichen (gefüllten) Elsterstausee ist stark übertrieben. Worum es den
Streitern für die Erhaltung des Elsterstausees geht, ist die Erhaltung einer traditionellen Kulturlandschaft, also Landschaftsschutz. Die naturschutzfachlichen Werte nehmen mit dem temporären
Schwinden des Wassers deutlich zu.
Völlig zu recht haben deshalb alle Naturschutzverbände im Naturschutzbeirat der Stadt dafür votiert, dass es nicht vertretbar ist, die immensen Kosten zur Wasserfüllung des Elsterstausees aus den
Steuern der Allgemeinheit zu bezahlen. Dafür ist der naturschutzfachliche Wert des Elsterstausee zu gering und eine naturschutzgerechte Nachnutzung viel wertvoller. Allerdings wird sich der
NABU-Regionalverband auch nicht engagierten Bürgern in den Weg stellen, die mit ihren eigenen Mitteln den See erhalten wollen, z. B. in dem sie in eine Solar- oder Windkraftanlage investieren,
mit der die notwendige Energie für die Wasserhebung aufgebracht werden kann.
Es bleibt auch zu bedenken, dass mit dem Elsterwasser immer auch Schweb- und Nährstoffe mit in den Elsterstausee gepumpt werden, zumal wie bei der letzten Aktion kein Sedimentationsteich
vorgeschaltet war. Die Stoffe lagern sich dann am Seeboden ab und reichern sich hier an. Es kommt also im Laufe der Jahre zu einer allmählichen Überdüngung und damit Qualitätsverschlechterung des
Elsterstausees, denn die meisten Nährstoffe verbleiben im See, während das Wasser versickert.
Karl Heyde, 21.09.2008