Ist die Schlehe überhaupt eine Auwaldpflanze? Sicher, in den Kernzonen des Auwaldes ist sie kaum zu finden, doch an vielen seiner Waldränder ist sie nicht zu übersehen. Dort wächst sie dicht und
dornig, in bis zu mehreren Metern tiefen Gehölzstreifen.
Ihre Struktur macht sie für den Auwald so wertvoll. Denn das Dickicht am Rand erfüllt eine wichtige Funktion: Wie ein „Schutzwall“ bremst es schädigende Einflüsse ab. Schadstoffe können ihre
Spuren hinterlassen, ebenso wie allzu starke Einwirkungen von Wind und Sonne. Die Schlehengebüsche bilden eine natürliche Pufferzone, die einen ausgeglichenen Temperatur- und Feuchtehaushalt
fördert. Bis zum Vielfachen der Heckenhöhe können die günstigen Auswirkungen auf das Klima der näheren Umgebung reichen. Der Schlehenstrauch kann drei Meter hoch werden. So schützt die Schlehe,
gemeinsam mit anderen Sträuchern, den empfindlichen Auwaldmantel.
Doch unsere Auwaldpflanze schützt nicht nur, sie steckt auch voller Leben. Generell gehören Hecken und Waldränder zu den artenreichsten Lebensräumen. Ihre wechselnden Licht-, Temperatur- und
Feuchtigkeitsverhältnisse, begründen diesen Reichtum. Zwar lässt die Schlehe durch die Dichte ihres Gestrüpps wenig Raum für andere Pflanzen. Doch für eine Fülle von Insekten, Vögeln und anderen
Tieren ist sie Schutzburg, Nahrungskammer und Wohnraum zugleich.
Am Waldrand kann die Vogeldichte bis zum zehnfachen stärker als im Waldinneren sein. Die Fledermausarten des Auwaldes nutzen den Waldrand gern für ihre nächtliche Nahrungssuche, denn hier leben
viele Insekten – an der Schlehe bis zu hundert Arten!
Ein typischer Waldrandbewohner ist auch die Goldammer. Und wo ertönt der Gesang von Nachtigall und Baumpieper am häufigsten? In der gebüschreichen Zone am Rand. Hänfling, Stieglitz,
Heckenbraunelle brüten dort. Und der Grünspecht, einer der sechs Spechtarten des Leipziger Auwaldes, nutzt die gebüschreiche Zone, um seine Lieblingsnahrung, die Ameisen, zu erbeuten. Aus ganz
praktischen Gründen schätzt der Neuntöter das Geäst der Schlehe, spießt er doch seine überschüssige Nahrung einfach auf die Dornen. So hat er Grillen, Heuschrecken, Käfer, Mäuse und andere
Beutetiere jederzeit bequem verfügbar.
Den Waldrand nutzen auch Tag- und Nachtgreifvögel zum Ansitz für ihre Nahrungssuche. Bussard und Rotmilan legen hier ihre Horste an. Dieses undurchdringliche Heckengestrüpp ist natürlich auch bei
Säugetieren beliebt: Waldspitzmaus, Hermelin, Mauswiesel und Hase finden hier Ruhe oder Beute.
Auch für zahlreiche Großschmetterlingsarten bildet die Schlehe eine wichtige Lebensgrundlage. Raupennahrungspflanze ist sie vor allem für zahlreiche Nachtfalter. Zu den wenigen
Tagesschmetterlingen, die auf die Schlehe am Leipziger Auwaldrand angewiesen sind, gehören Pflaumenzipfelfalter und Nierenfleck.
Die Auwaldpflanze des Jahres 2002 bietet aber nicht nur Schutz und Nahrung, sie schmückt auch unsere Landschaft. Schon als Frühlingsbotin ist sie eine Augenweide, die schneeweißen und fünfstrahligen Sternchen der Blüten strahlen noch vor dem Grün der Bäume. Und wenn die Wiesen immer noch nicht blühen, sammeln sich dort schon Bienen und Schmetterlinge. Im Herbst sind die schwarzblauen Steinfrüchte, die sogenannten „Schlehen“ reif. Übrigens kommt ihr Name vom herben Aroma: „Schleh“ bedeutet nämlich matt, streng. Doch nach dem ersten Frost geerntet, sind die Früchte süßer und den Vögeln wohlschmeckende Nahrung. Auch die Samen werden von ihnen verbreitet.
Die zu den Rosengewächsen zählende Schlehe ist an ihrem dornigen Strauch leicht zu erkennen. Seine besonders dunkle Rinde hat zu dem Namen Schwarzdorn geführt, viel vornehmer klingt der „dornige“
Name natürlich auf lateinisch: Prunus spinosa.
Als lichtliebende Art wächst sie vor allem auf mäßig trockenen bis frischen, nährstoffreichen Auenstandorten. Bis zu 40 Jahre alt kann sie werden. Fast ein wenig in Vergessenheit geraten ist die
Schlehe als Heilpflanze. Dabei sind die Früchte stark Vitamin-C-haltig. Auch ihre Blüten pflückte man früher für Tees. Sie regen den Stoffwechsel an und steigern die Abwehr-kräfte. Immer noch
geschätzt sind ihre Eigenschaften für andere gesundheitliche Zwecke: Deutschlandweit werden nämlich die Gradierwerke mit dem Holz der Schlehen bestückt. Es besitzt eine hohe Resistenz, durch
feine Verzweigungen entsteht ein hoher Verdunstungseffekt. Auch die Salinen von Bad Dürrenberg sind schon seit 1670 mit Schlehenzweigen gefüllt.
Unsere Vorfahren sahen in der Schlehe weit mehr als nur einen Dornbusch: Die Schle-
he galt als Zauberstrauch. Schon damals hofften die Menschen auf ihren Schutz. So sollten vorm Haus gepflanzte Schlehen Blitze, Feuer und Krankheit abhalten. Und im undurch-dringlichen Wald
benutzten Wanderer Spazierstöcke aus dem Holz der Schlehen, um sich vor geheimnisvollen Mächten zu schützen.
Im Leipziger Raum kommt die Schlehe an vielen Stellen, zum Beispiel in der Nordwestaue und im Großen Hainholz, vor. Auch am Wildpark sind Schlehen zu sehen. Zu den begleitenden Arten gehören
unter anderen Roter Hartriegel, Pfaffen-
hütchen, Feldahorn, Hainbuche, Weißdorn und Hundsrose. Verbleibt genügend Raum zwischen den Sträuchern und angrenzenden Feldern, bilden sich Krautsäume aus. Besonders artenreich entwickeln sie
sich auf weniger nährstoffreichen Böden. Auffällige Pflanzenarten sind hier die Wiesen-Flockenblume, das Rauhaarige Veilchen oder das Tüpfel-Johanniskraut. Auf reicheren Standorten wachsen
dagegen oft hochwüchsige Doldenblütler, wie Wiesen-Kerbel, Wiesen-Bärenklau oder Zaun-
giersch. Auch diese Krautsäume beeinflussen die Artenvielfalt der Auwaldmäntel.
Als wichtigstes Vernetzungsteil verschiedener Ökosysteme können Waldmäntel Arten erhalten und Systeme stabil bleiben lassen. Der Leipziger Auwald gehört zwar zu den schönsten Deutschlands, doch
auch er ist gefährdet. Anpflanzungen von Schlehen im Großen und Kleinen Hainholz, am Cottaweg und vielen anderen Stellen sollen den Auwaldrand besser schützen.
Text: I. Hildebrandt, Stadt Leipzig, Amt für Umweltschutz