Um auf den Verlust der Stadtnatur aufmerksam zu machen und um gegen die unzeitgemäße Betonpolitik der Stadtentwicklung zu protestieren, organisiert der NABU Leipzig gemeinsam mit anderen Umweltschutzgruppen immer wieder Mahnwachen, die zuletzt monatlich am Wilhelm-Leuschner-Platz stattfanden, der ein besonders negatives Beispiel für unzeitgemäße Stadtplanung darstellt. An diesem Ort der Biologischen Vielfalt sollen Lebensräume zerstört werden, auch die Klimaschutzfunktionen der Fläche gehen verloren. Doch der Wilhelm-Leuschner-Platz ist nur ein Beispiel für unzeitgemäße Projekte, die den Anforderungen an Schutz von Biodiversität und Klima entgegenstehen. Deshalb wurden die Mahnwachen mobil und finden auch an anderen Brennpunkten statt. Am 13. Juli 2022 war die zweite mobile Mahnwache gegen Grünflächenschwund in Leipzig. Dieses Mal fanden sich NABU-Mitglieder und Anwohner bei der Brachfläche an der Bremer Straße ein, die von Bebauung bedroht ist. 14 Hektar strukturreicher Lebensraum mit einer außergewöhnlichen Artenvielfalt sollen hier zerstört werden. An dieser Stelle hatte der NABU auch bereits am 22. Mai eine Protestveranstaltung organisiert, am Tag der Biologischen Vielfalt. Der Protest steht unter dem Motto „Rettet die Bremer Stadtmusikanten“, denn auch 40 Vogelarten würden hier ihren Lebensraum verlieren. Eine Fotoausstellung zeigte auf der Fläche entstandene Aufnahmen von Vögeln und Schmetterlingen – 23 Tagfalterarten hat der NABU Leipzig auf der Fläche nachgewiesen.
Bei der Exkursion über die von Bebauung bedrohte Fläche konnte auch ein Feldhase sehr gut beobachtet werden. Fotos: NABU Leipzig
Nach dem Redebeitrag gab es für die Teilnehmer Gelegenheit, die Resolution zum Erhalt der ökologisch wertvollen Fläche zu unterschreiben und mit gemeinsamem Gesang gegen den fortschreitenden Verlust der Stadtnatur zu protestieren. Drei umgedichtete Vogel-Lieder erklangen mit Mandolinenbegleitung. Bei der anschließenden gemeinsamen Exkursion konnte ein Feldhase sehr gut beobachtet werden, eine der Rote-Liste-Arten, die auf der Fläche vorkommen.
Die Teilnehmer der Mahnwache appellieren an die Verantwortlichen in Leipzig, solche Hotspots der Biodiversität für kommende Generationen zu schützen und nicht leichtfertig einer unzeitgemäßen Bebauung zu opfern!
Am 22. Mai ist der Internationale Tag der Biologischen Vielfalt. Er soll auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, die Biodiversität zu schützen – ein Anliegen, das der NABU tagtäglich in seiner Arbeit verfolgt. Die Welt steht nicht nur vor einer Klimakatastrophe, sondern erlebt zugleich ein Massenaussterben, einen dramatischen Verlust der Biologischen Vielfalt. Beide Krisen befeuern sich gegenseitig – der Schutz natürlicher Lebensräume ist zugleich auch ein essenzieller Beitrag zum Klimaschutz. Biodiversität macht die Natur zugleich widerstandsfähiger gegen die Folgen der Klimaveränderungen. Dies alles dient auch dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen. Dessen ungeachtet geht die Zerstörung von Lebensräumen und der dramatische Flächenverlust ungebremst weiter. Leipzig tut alles für Klimawandel und Artensterben – kritisieren Mitglieder des NABU. Sie dokumentieren den Flächenverlust und haben seit 2016 schon mehr als 300 Flächen erfasst, die ersatzlos verschwunden sind – Leipzig schrumpft! Immer wieder macht der NABU mit Stellungnahmen und Mahnwachen darauf aufmerksam, dass der Bauboom, der durch Entscheidungen der Stadtverwaltung und des Stadtrates rücksichtslos gefördert wird, zu einem fortschreitenden Verlust der Stadtnatur führt, dazu führt, dass immer mehr Arten in Leipzig vom Aussterben bedroht sind. Heckenrodungen und Fassadensanierungen vertreiben Brutvögel, immer neue Beton- und Asphaltflächen entstehen und heizen das Stadtklima auf. Dürftige Neupflanzungen fallen der Dürre zum Opfer oder sind meist so naturfern angelegt, dass sie keinerlei Ersatzlebensraum bieten.
Noch haben wir Orte der Biodiversität in der Stadt, doch sie sind alle absehbar von Bebauung bedroht. Dazu zählen beispielsweise der Wilhelm-Leuschner-Platz oder das Areal am Bayerischen Bahnhof.
Bei Bauprojekten so viel wie möglich die vorhandene Natur zu erhalten und zugleich neue Lebensräume zu schaffen, müsste das Anliegen moderner Stadtplanung sein, doch stattdessen werden weiter
Glas- und Beton-Projekte realisiert. Ein weiteres Opfer dieser unzeitgemäßen Stadtentwicklung könnte eine Brachfläche in Gohlis werden – hier soll das „Stadtquartier östlich Bremer Straße“
entstehen.
Artenvielfalt an der Bremer Straße. Fotos: Beatrice Jeschke
Auf dem Gelände Bremer Straße haben NABU-Mitglieder bis jetzt 130 Arten nachgewiesen (40 Vogelarten, 23 Tagfalter, 10 Nachtfalter, 8 Käfer, 8 Wildbienenarten u.a.m.). Am 22. Mai, dem Tag der Biologischen Vielfalt hat der NABU Leipzig diese Artenvielfalt vorgestellt und fordert: „Rettet die Bremer Stadtmusikanten“. Gerade jetzt im Mai sind sie zu hören – die Vögel, die hier zuhause sind. Das Gelände ist nicht nur der Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten, sondern dient auch den Anwohner zur Erholung und ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Es handelt sich um 14 Hektar artenschutzfachlich wertvoller, strukturreicher Landschaft. Warum werden solche Flächen stets und ständig anderen Interessen geopfert? Die Belange des Naturschutzes fließen in sogenannte Abwägungsprozesse ein, im Ergebnis der Abwägung wird jedoch erfahrungsgemäß die Natur zerstört. Warum gilt nicht auch ein artenreicher Lebensraum als wertvolles Ziel der Stadtentwicklung? Bekenntnisse zu Klimaschutz und Biodiversität erweisen sich immer wieder als Lippenbekenntnisse.
Es handelt sich um ein ehemals bebautes früheres Militärgelände. Die Reste von Fundamenten verhindern ein schnelles Zuwachsen, sodass hier ein offener Lebensraum entstanden ist, der anderswo nur mit aufwändiger Landschaftspflege erhalten werden kann. Gerade solche Lebensräume werden immer seltener. Darauf macht auch der Vogel des Jahres 2022 aufmerksam, der Wiedehopf. Er braucht offene, insektenreiche Lebensräume und ist in weiten Teilen Deutschlands daher gar nicht mehr zu finden. Auf dem Areal an der Bremer Straße konnte er 2020 beobachtet werden. Der NABU Leipzig plant, ihm hier auch Nisthilfen anzubieten. Wenn die Ansiedlung gelingt, hätten wir eine Art mehr in Leipzig – stattdessen aber soll hier ein Lebensraum für 130 Arten verschwinden. Dagegen hat der NABU am 22. Mai 2022 protestiert. Zunächst wurde das artenreiche Gelände bei einer Exkursion vorgestellt, anschließend fand eine Protestkundgebung statt, zu der rund 30 Menschen kamen, auch Anwohner gesellten sich hinzu und kamen mit NABU-Mitgliedern ist Gespräch. Der NABU hofft, dass Anwohner und Politik auf das Problem aufmerksam werden und eine Änderung der Pläne erreicht wird.
Bis zum 24. Mai 2022 liegt der B-Plan 433 zur öffentlichen Beteiligung im Stadtplanungsamt vor Zimmer 496-499 aus, und Bürger und Verbände haben die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben.
Die folgenden Arten wurden bereits nachgewiesen:
Zu der Exkursion über das artenreiche Gelände kamen am Morgen rund 20 Naturfreunde. Beatrice Jeschke vom NABU Leipzig führte die Gruppe auf einem großen Rundkurs über das Areal. Dabei konnten zahlreiche Vogel- und Insektenarten beobachtet werden. Sogar eine weitere Art kam auf die Liste: Die Gruppe beobachtete ein männliches und ein weibliches Schwarzkehlchen.
Männliches und weibliches Schwarzkehlchen. Das Pärchen wurde bei der Exkursion am Tag der Biologischen Vielfalt entdeckt, sodass hier nun eine weitere seltene Vogelart nachgewiesen wurde. Fotos: Beatrice Jeschke
Der Tag stand unter dem Motto „Rettet die Bremer Stadtmusikanten“, was sich insbesondere auf die artenreiche Vogelwelt bezieht. Viele „Musikanten“ waren auch tatsächlich zu hören, beispielsweise Mönchsgrasmücke, Gartengrasmücke, Dorngrasmücke, Nachtigall, Zilpzalp, Gelbspötter, Singdrossel, Stare und Blaumeisen.
Exkursion über das artenreiche Gelände an der Bremer Straße. Fotos: René Sievert
Nach der Exkursion begann um 10 Uhr eine Protestkundgebung. An einer Leine hingen zahlreiche schöne Fotos der artenreichen Tierwelt an der Bremer Straße, daneben wehte eine NABU-Fahne im Wind und lockte auch einige Anwohner zu der Veranstaltung. Mithilfe eines Megafons informierte zunächst Beatrice Jeschke über die Probleme der Stadtnatur und über die Anliegen des NABU Leipzig. Die Teilnehmer konnten anschließend eine Resolution unterzeichnen, mit der die Stadtverwaltung aufgefordert wird, die Natur auf dem Gelände zu erhalten:
Resolution zum Tag der Artenvielfalt 2022
Der B-Plan 433 sieht eine vollständige Bebauung der Brachfläche östlich der Bremer Straße für ein neues Stadtquartier vor. Auf dieser ehemaligen Militärfläche konnte sich seit über 30 Jahren
die Natur ungestört entwickeln. Durch die Teilversiegelung ist ein halboffener, strukturreicher Lebensraum entstanden, der anderswo nur mit aufwendiger Landschaftspflege erhalten werden
kann. Vom NABU wurden schon über 130 Tier- und Pflanzenarten auf dem 14 ha großen Areal nachgewiesen. Seltene Vogelarten wie Neuntöter, Grünspecht, Dorngrasmücke, Gartengrasmücke,
Klappergrasmücke, Gartenrotschwanz und Gelbspötter haben in dem wertvollen Habitat einen Lebensraum gefunden. Sogar Wiedehopf, Feldschwirl, Pirol und Wendehals wurden schon festgestellt. Beim
Tagfaltermonitoring Deutschland wurden neben 31 anderen Schmetterlingsarten der Große Fuchs und der Kurzschwänzige Bläuling festgestellt. Auch der Feldhase kommt hier noch vor.
Mit unserer Unterschrift wenden wir uns gegen den fortschreitenden Verlust der Stadtnatur und die Zerstörung von Lebensräumen in Leipzig. Der dramatische Grünflächenverlust wird seit
2016 vom NABU Leipzig dokumentiert (www.NABU-Leipzig.de/Leipzig-schrumpft ). Wir fordern eine obligatorische artenschutzfachliche Untersuchung von lange brachliegenden Flächen. Für die
artenreiche Fläche an der Bremer Straße fordern wir die Naturschutzbehörde auf, ein Schutzwürdigkeitsgutachten in Auftrag zu geben. Solche Hotspots der Biodiversität in der Stadt müssen
für kommende Generationen erhalten bleiben!
Dann wurden die Kundgebungsteilnehmer selbst zu „Stadtmusikanten“. Talentierte NABU-Mitglieder hatten drei bekannte Lieder mit Blick auf die bedrohte Stadtnatur umgetextet. So hieß es dann „Hier wohnen Bremer Stadtmusikanten“, „Ein Vogel wollt' in Leipzig wohnen“ und „Alle Vögel sind noch da“.
„Rettet die Bremer Stadtmusikanten“ – NABU-Kundgebung zum Tag der Biologischen Vielfalt am 22. Mai 2022.
„Hier wohnen Bremer Stadtmusikanten“ – nach dem Lied „Wir sind die Bremer Stadtmusikanten“, Text: Kerstin Braun.
„Ein Vogel wollt' in Leipzig wohnen“ – nach dem Lied „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“, Text: Kerstin Braun.
„Alle Vögel sind noch da“ – nach dem Lied „Alle Vögel sind schon da“, Textänderungen: Beatrice Jeschke.
Videos: Karsten Peterlein, Ulrike Weller, René Sievert