„Energieberg“ Seehausen – ein Beispiel für fehlgeleiteten Klimaschutz

Energiewende und Naturschutz gehören zusammen!

Lebensräume geschützter und bedrohter Arten, darunter Orchideen, Vögel und Insekten, sind durch die geplante Photovoltaikanlage bedroht.

 

Die renaturierte Deponie Seehausen in Leipzig soll trotz natur- und artenschutzfachlicher Bedenken nach Beschluss des Stadtrats mit Photovoltaik bebaut werden. Bereits 2022 hat der NABU zu dem Vorhaben Stellung bezogen und den Solarpark abgelehnt. Auch in diesem Jahr hat der NABU die Möglichkeit genutzt, sich zum Zielabweichungsverfahren für den Bau der Photovoltaikanlage ablehnend zu äußern. Weitere Informationen

 

Die Deponie Seehausen in Leipzig ist ein trauriges Beispiel für fehlgeleiteten Klimaschutz. Hier soll ausgerechnet ein Naturraum mit Photovoltaik bebaut werden, obwohl in direkter Nachbarschaft gleich drei Gewerbegebiete mitsamt Parkplätzen sowie zahlreichen Freiflächen und eine Autobahn zur Verfügung stehen. Eine über Jahrzehnte zum Erfolg geführte Ausgleichsmaßnahme wird so im Hauruckverfahren zunichte gemacht, um bei der lange verschleppten Energiewende aufzuholen. Dabei wird vergessen, dass diese letztlich dem Schutz der Natur und damit unserer Lebensgrundlage dienen soll. Mit einem Brief an die Genehmigungsbehörde und mit einer Pressemitteilung hat sich der NABU Sachsen am 7. Juli 2023 noch einmal zum Prozess geäußert. Weiterlesen

 

Der NABU Sachsen fordert:

  • Solarpflicht für Neubauten
  • multifunktionale Nutzung von Industrie- und Gewerbegebäuden – insbesondere zur Energiegewinnung
  • Eine Nutzung von Naturraum darf erst nach schlüssig dargelegtem Ausschluss von bereits versiegelten Flächen in Betracht gezogen werden.
  • Der Verlust von Ökosystemleistungen muss bei jedem Vorhaben klar erläutert und beziffert werden und wertgleicher Ausgleich in mittelbarer Umgebung erbracht werden.

Am 14. Juli 2023 hat Radio Blau das Thema in einem Interview mit René Sievert vom NABU Leipzig aufgegriffen:


Ein Berg für die Natur

NABU Leipzig unterstützt Unterschutzstellungsantrag für den ehemaligen Deponieberg Seehausen

Foto: anonym
Orchideen auf dem Deponieberg Seehausen.

Die Großstadt Leipzig hat viele Rückzugsmöglichkeiten für die Natur – Lebensräume in der Stadt. Sie sind wertvoll für den Erhalt der Biologischen Vielfalt, aber auch wichtig für das Stadtklima und für das Wohlbefinden der Menschen. Leider gehen diese Rückzugsorte für die Natur mehr und mehr verloren, Schuld sind rücksichtslose Bauprojekte. Sie führen zu immer neuer Flächenversiegelung, Lebensraumverlust und sorgen für eine Aufheizung des Klimas. Der Erhalt vorhandener Biotope ist daher genau so wichtig wie die Schaffung neuer ökologisch wertvoller Flächen. Solche Flächen dienen dem Schutz der Biodiversität und des Klimas gleichermaßen. Weitere Informationen

 

Wichtig für den Klimaschutz ist eine Energiewende. Es muss gelingen, Energie zu erzeugen, ohne die Freisetzung klimaschädlicher Emissionen. Einen Beitrag dabei können auch Solaranlagen leisten. Der NABU Leipzig befürwortet den schnellstmöglichen Ausbau von Solaranlagen auf bereits versiegelten Flächen und im Zuge von Neubauprojekten. Auf Dächern und über Parkplatzflächen, vor allem auf denen der riesigen Gewerbegebiete könnten beispielsweise solche Anlagen entstehen. Stattdessen gibt es eine fatale Fehlentwicklung: Flächen-Photovoltaik-Anlagen entstehen in der freien Natur, teils auf ökologisch wertvollen Flächen. Deren bereits bestehende Funktion für Klimaschutz wird dabei weitgehend ignoriert, vor allem aber werden der Energiewende und damit menschlichen Bedürfnissen weitere Lebensräume geopfert. Das ist der falsche Weg, denn Klima und Biodiversität müssen gleichermaßen geschützt und nicht gegeneinander ausgespielt werden! Ein Beispiel für diesen Irrweg sind die Pläne für den sogenannten „Energieberg“ Seehausen. Weitere Informationen

 

Zu den schützenswerten Arten auf der ehemaligen Deponie gehören auch mehrere Brutpaare der Grauammer. Symbolfoto: NABU/Christoph Moning
Zu den schützenswerten Arten auf der ehemaligen Deponie gehören auch mehrere Brutpaare der Grauammer. Symbolfoto: NABU/Christoph Moning

Auf der stillgelegten Mülldeponie hat sich eine große Artenvielfalt entwickelt, Wald ist gewachsen, Wiesen bieten Lebensraum, der in der gesamten Region rar ist, insbesondere aber im Leipziger Norden, der abgesehen von diesem Ort der Biodiversität geprägt ist von Gewerbe- und Industrieansiedlungen, einem Einkaufszentrum, von Autobahn- und Fluglärm. Die ehemalige Deponie bietet nicht nur der Natur einen Rückzugsort, sondern dient auch dem Wohlbefinden der Anwohner, die den grünen Anblick genießen, die Tierwelt beobachten und die Umgebung für Spaziergänge nutzen. Zudem hat das Areal eine essenzielle Bedeutung als Frischluftschneise für die Großstadt Leipzig. Ausgerechnet hier die neu entstandenen Lebensräume zu opfern, um eine Photovoltaikanlage zu errichten, ist eine schlechte Idee. Die umliegenden Gewerbeflächen bieten ausreichend Möglichkeiten und Flächen, um Solarmodule zu installieren. Auch andere, innovative Lösungen sind denkbar, wie beispielsweise „Agri-PV“ (Photovoltaikanlagen bei gleichzeitiger landwirtschaftlicher Nutzung von Flächen).

 

Da immer mehr Lebensräume und Naturflächen verloren gehen, sind neu entstandene artenreiche Flächen umso schützenswerter. Der NABU Leipzig befürwortet es daher, solche Gebiete nicht leichtfertig der Bebauung zu opfern, sondern, ganz im Gegenteil, sie für die Natur zu erhalten und zu entwickeln. Eine Möglichkeit wäre, sie nach dem Naturschutzrecht unter Schutz zu stellen. Denn es zeigt sich in der Genehmigungspraxis der Leipziger Behörden leider, dass ausschließlich naturschutzrechtliche Schutzobjekte überhaupt irgend eine Art von Schutz genießen, jedes andere Stück Natur, das nach EU-Recht oder nach dem Bundesnaturschutzgesetz eigentlich geschützt wäre, wird letztlich doch durch die entsprechenden Freigaben zerstört – meist ersatzlos.

 

Der NABU Leipzig hat daher für verschiedene schützenswerte Einzelbäume im Stadtgebiet beantragt, sie als Naturdenkmal zu schützen und so vor Fällung oder Verstümmelung zu bewahren. Des Weiteren hat der NABU Leipzig ein Schutzwürdigkeitsgutachten für die Fläche an der Bremer Straße beantragt. Dieses Areal verdient es, als Ort der Biologischen Vielfalt und Erholung für die Anwohner erhalten zu werden. Bebauung ist maximal auf ökologisch weniger wertvollen Teilflächen vertretbar. Eine komplette Erschließung als Baugebiet lehnt der NABU Leipzig dagegen entschieden ab.

 

Foto: anonym

Purpur-Knabenkraut gehört zu den drei Orchideenarten, die auf dem ehemaligen Deponiegelände nachgewiesen wurden. Die Knabenkrautbestände befinden sich am Osthang innerhalb lichter Waldbestände. Neben dem Purpur-Knabenkraut wurden auch das Weiße Waldvögelein und die Bienenragwurz auf dem ehemaligen Deponiegelände gefunden. Diese Orchideenarten kommen in Leipzig sonst nicht oder nur sehr selten vor. Die Funde belegen die hohe ökologische Wertigkeit und Schutzwürdigkeit des Gebietes.

 

Eine weitere schützenswerte Fläche ist die ehemalige Deponie Seehausen, auf der sich artenreiche Lebensräume entwickelt haben, unter anderem mit Orchideen und seltenen Brutvogelarten der Offenlandschaft. Die Vorkommen sind für das Gebiet der Stadt Leipzig teils einzigartig und ihre Zerstörung daher nicht hinnehmbar. Der NABU Leipzig unterstützt daher den Unterschutzstellungsantrag der Initiative Stadtnatur:

 

Antrag auf einstweilige Sicherstellung der ehemaligen Deponie Seehausen als Naturschutzgebiet

Die „Initiative Stadtnatur“ hat bei der Stadt Leipzig eine einstweilige Sicherstellung des auf der Deponie Seehausen entstandenen Biotopmosaiks als Naturschutzgebiet beantragt. Der Antrag wird unterstützt vom NABU-Regionalverband Leipzig und dem Landesverein Sächsischer Heimatschutz (LSH).

 

Die von der „Initiative Stadtnatur“, einem partei- und verbandsunabhängigen Zusammenschluss Leipziger Bürgerinnen und Bürger, Fachkundiger und Mitgliedern von Parteien und Naturschutzverbänden, beantragte und von Umweltverbänden unterstützte einstweilige Sicherstellung als Naturschutzgebiet soll ökologisch wertvolle Flächen sichern und den Ämtern Zeit geben, zu prüfen, ob das auf der Deponie entstandene Mosaik an verschiedenen Lebensräumen und den darin lebenden teilweise bereits sehr bedrohten Tier- und Pflanzenarten einer Ausweisung als Schutzgebiet würdig ist.

 

Intensiv bewirtschaftete Agrarlandschaften, Autobahn, Gewerbe- und Industriegebiet, Sachsenpark und die Neue Messe, auf den ersten Blick scheint die Deponie Seehausen im Norden von Leipzig, als ehemalige Müllhalde für Restmüll perfekt in die menschengemachte Tristesse hineinzupassen.

 

Auf dem Deponieberg Seehausen und in seinem Umfeld finden jedoch viele Tier- und Pflanzenarten einen Rückzugsraum. Bei einem nicht unerheblichen Anteil handelt es sich um teilweise stark bedrohte Arten. Zum Beispiel finden gefährdete Brutvogelarten wie Heidelerche, Grauammer, Sperbergrasmücke, Wendehals und Neuntöter hier einen Unterschlupf. Aber auch über 50 verschiedene Wildbienenarten, die Zauneidechse, die Blauflügelige Ödlandschrecke und gefährdete Orchideenarten wie Bienenragwurz und Purpurknabenkraut können auf der Deponie beobachtet werden. 

 

Blauflügelige Ödlandschrecke. Symbolfoto: NABU/Heinz Strunk
Blauflügelige Ödlandschrecke. Symbolfoto: NABU/Heinz Strunk

Bei dem für die Sicherstellung vorgesehenen Gebiet handelt es sich um eine 60 Hektar große Fläche, bestehend aus zwei Deponiebergen von 40 Meter Höhe und dem näheren Umfeld. Auf dem Bereich des Altberges konnte sich seit ca. 25 Jahren ein zum Teil forstlich begründeter vitaler Wald ungestört entwickeln. Mit der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 454 „Energieberg Leipzig-Seehausen“ werden nun jedoch durch die Stadtwerke Leipzig insbesondere die Offenflächen, aber auch sechseinhalb Hektar des Waldes mit einer Freiflächen-Photovoltaik-Anlage überplant.

 

Auf dem Deponiegelände ist ein ökologisch wertvolles Mosaik an Wald-, Halboffenland- und Offenland-Lebensräumen entstanden. Dieses Mosaik bietet vielfältige Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten und stellt einen lokalen Hotspot der Biodiversität dar. Die Deponie bietet zusätzlich einen besonderen Trittstein im Leipziger Biotopverbund, der insbesondere in einer so stark von Menschenhand überprägten Landschaft absolut notwendig ist. In Leipzig gehen in immer kürzerer Zeit immer mehr Naturlebensräume verloren. Über 100 Hektar und mehr als 300 Grünflächen dokumentierte der NABU Leipzig in den Jahren 2016 bis 2019, und das Tempo der Überbauung steigt weiter.

 

Die Stadt Leipzig hat die Deponie in ihrem Flächennutzungsplan, in ihrem Landschaftsplan sowie in der Biotopverbundplanung zum Erhalt als Grünfläche vorgesehen. Auch der Regionalplan Westsachen (2021) hat den Erhalt des Waldes auf der Deponie als regionales Ziel festgesetzt. Darüber hinaus ist die Deponie gemäß Stadtklimauntersuchung (2021) eine Fläche mit hoher Priorität für den Klimaschutz (Frischluft- und Kaltluftentstehung), die von „Bebauung freizuhalten“ ist. 

 

Solaranlagen sollten bevorzugt auf bereits versiegelten Flächen sowie auf Dächern installiert werden. Ökologisch wertvolle Lebensräume sollten für die Energiewende nicht in Anspruch genommen werden. Diese Flächen sind unverzichtbar für den Schutz der Biologischen Vielfalt, zudem haben intakte Ökosysteme selbst eine Klimaschutzfunktion, die nicht verloren gehen darf. Foto: NABU/Helge May

Gleichzeitig sind in Leipzig immer noch kaum Photovoltaikanlagen auf den geeigneten Dach- und Verkehrsflächen zu sehen. Das Fraunhofer Institut, das sich seit über 40 Jahren mit Photovoltaik beschäftigt, hat ausgerechnet, dass Photovoltaik auf einem Bruchteil der geeigneten Dachflächen und Ackerflächen in Verbindung mit Windkraft (für strahlungsarme Intervalle) völlig ausreicht, den Bedarf zu decken. Zudem ist es gar nicht erforderlich, dass die Stadt in ihrer Energieversorgung autark ist, gibt die Initiative Stadtnatur zu Bedenken.

  

Aufgrund der aktuellen Gefährdung der naturschutzfachlich wertvollen Arten und Lebensräume einschließlich des Waldes durch die geplante Photovoltaikanlage ist nun aus Sicht der Initiative Stadtnatur eine rechtzeitige Sicherung des Gebietes durch eine einstweilige Sicherstellung dringend erforderlich. Teile von Natur und Landschaft


können für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren einstweilig sichergestellt werden, wenn zu befürchten ist, dass durch Veränderungen oder Störungen der beabsichtigte Schutzzweck gefährdet ist. Auch die Naturschutzverbände NABU Leipzig und LSH befürworten die einstweilige Sicherstellung. Eine langfristige Begehbarkeit der Deponie (nach der Nachsorgephase der Deponie) wird ebenfalls befürwortet, so ist zum Beispiel die Anlage eines Naturlehrpfades denkbar. Dadurch wäre neben dem Schutz der wertvollen Flora und Fauna, auch Naturerfahrung auf der Deponie möglich. 

  

Die Initiative Stadtnatur begreift den Erhalt der Flächen auch als wichtigen Baustein eines naturschutz- bzw. ökosystembasierten Klimaschutzes („nature-based solutions“ ), Klimaschutz funktioniert nur, wenn wir Wälder und Wiesen als Kohlendioxidsenken und Frischluft- und Kaltluftentstehungsgebiete konsequent erhalten.

 

Fragen und Antworten

 


NABU Leipzig kritisiert „Energieberg“ Seehausen

Keine Photovoltaik auf ökologisch wertvollen Flächen!

Foto: andreas160578/pixabay
(Symbolfoto)

Am 28. April 2021 wurde entgegen der Ablehnung des Ortschaftsrates Seehausen die Bebauung der ehemaligen Deponie mit Photovoltaik im Stadtrat beschlossen. Der NABU Leipzig kritisiert diese Entscheidung und hat ein Positionspapier verfasst.

Artensterben und Klimawandel sind eine Doppelkrise, die uns vor große Herausforderungen stellt. Bei allen Planungen und Bebauungen sollten Arten- und Klimaschutz stets besonders berück­sichtigt werden. Der Ausbau von Photovoltaik gehört zu den essenziellen Pfeilern bei der Umsetzung der Klimaziele. Ein Ausbau von Solarenergie ist daher auch im Interesse des Natur- und Artenschutzes, denn der Klimawandel zählt zu den größten Bedrohungen für Mensch und Natur. Es ist jedoch kontraproduktiv, wenn ein Ausbau von Photovoltaik so erfolgt, dass Natur- und Artenschutz ignoriert werden. Deshalb sollten Photovoltaikanlagen möglichst auf bereits versiegelten Flächen oder auf Dächern errichtet werden, nicht jedoch auf ökologisch wertvollen Flächen. Positionspapier

 

MEDIENECHO

 

Leipziger Zeitung

 

Mahnwache am „Energieberg“ Seehausen

 

Am 14. Juni 2022 fand in unmittelbarer Nähe zum „Energieberg“ Seehausen eine Mahnwache statt. Gemeinsam mit dem NABU Leipzig demonstrierten Anwohner und die Initiative Stadtnatur für den Erhalt des Waldes auf der ehemaligen Deponie, für Klimaschutz und für den Schutz der Biologischen Vielfalt in Leipzig. Immer mehr Flächen werden versiegelt, Stadtnatur geht den Menschen verloren und damit auch die Funktion dieser Flächen für das Klima und als Lebensraum für die Tier- und Pflanzenwelt. Ausgleich findet nicht statt und ist oft auch gar nicht möglich, denn die Menschen lassen der Natur immer weniger Platz. 

Foto: NABU Leipzig
Foto: NABU Leipzig