Lebensraum in der Leipziger Innenstadt schrumpft weiter

Eilantrag gegen Baumfällgenehmigung weitgehend erfolglos

Mit Beschluss vom 2.02.2022 hat das Verwaltungsgericht Leipzig einen Eilantrag des NABU Sachsen gegen die auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz geplanten Baumfällarbeiten weitgehend abgelehnt. Dies betrifft jedoch nicht das eigentliche Klageverfahren gegen die Fällgenehmigung, sondern nur den Eilantrag des NABU Sachsen vom 22.12.2021. Er war nötig geworden, weil die Stadtverwaltung kurz vor den Feiertagen, am 7.12.2021, die sofortige Umsetzung der Fällgenehmigung angeordnet hatte, obwohl es noch gar keine Baugenehmigung gab und bis heute auch nicht gibt. Sogar der Bebauungsplan für das Areal ist noch gar nicht vom Stadtrat beschlossen. Das ist nach Auffassung des NABU eine willkürliche Abfolge von Genehmigungen, die demokratische Beteiligungsverfahren aushebelt und ignoriert. Zudem gab es nach dem Widerspruch des NABU Sachsen im Januar 2021 bereits im Februar 2021 eine Anordnung der Naturschutzbehörde, dass eine artenschutzfachliche Untersuchung erfolgen muss. Es wurde unter anderem beauflagt, dass ein Konzept über Art und Umfang von erforderlichen Ersatzmaßnahmen vorzulegen ist. Dieses Konzept liegt bis heute nicht vor. Es ist unverständlich, weshalb diese Auflage einfach ignoriert werden kann und nun offenbar nicht mehr eingefordert wird. Eine kurze Begutachtung mitten im Winter kann eine artenschutzfachliche Untersuchung nicht ersetzen – die meisten betroffenen Tierarten sind gegenwärtig gar nicht feststellbar. Zudem kam die Untersuchung nur aufgrund des mehrfachen Einschreitens des NABU zustande – sie fand nicht vor der ursprünglichen Fällgenehmigung statt, was aber eigentlich die Voraussetzung sein muss, um eine solche Genehmigung überhaupt zu erteilen. Pressemitteilung

 

Wo bleibt der Biotop- und Artenschutz?

Das Gericht bezieht sich auf die Fällgenehmigung der Stadt Leipzig und erklärt „Es bestehe das in der Baumschutzsatzung der Stadt vorausgesetzte öffentliche Interesse an der Erteilung der Fällgenehmigung. Zwischenzeitlich sei eine Teilbaugenehmigung für das Vorhaben des Leibniz-Institutes erteilt, in Kürze ergehe auch die Baugenehmigung. Das Leibnitz-Institut sei eine wissenschaftliche Einrichtung, an deren Ansiedlung der Freistaat Sachsen ein erhebliches Interesse habe.“

 

Zerstörung der Natur im öffentlichen Interesse?

Mit der Formulierung „in Kürze ergehe auch die Baugenehmigung“ wird bestätigt, dass sie bislang noch gar nicht vorliegt, trotzdem sollen bereits die Bäume gefällt und Hecken gerodet werden. Vor allem aber wird hier formuliert, dass der Freistaat Sachsen an der Ansiedlung des Leibnitz-Instituts ein „erhebliches Interesse“ habe. Das mag sein, aber das allein ist nach Auffassung des NABU nicht unter dem „öffentlichen Interesse“ zu verstehen, das in der Baumschutzsatzung gemeint ist. Im Öffentlichen Interesse müsste vielmehr zunächst der Erhalt der Lebensräume für Mensch und Natur und einer gesunden Umwelt stehen.

Weiter heißt es „Dass für die auf dem Leuschnerplatz vorkommenden Vogelarten durch die konkrete Baumaßnahme alle als Standort von Nestern geeigneten Brutplätze verloren gingen, sei angesichts der im näheren Umfeld des Baugrundstücks bestehenden Ausweichmöglichkeiten wie auch der öffentlichen Grünflächen der Umgebung (z. B. Johanna-Park) nicht anzunehmen. Maßnahmen zugunsten der Vogelwelt seien zudem auch Bestandteil der Teilbaugenehmigung vom 10.1.2022.“

Die Amseln sind innerhalb von 10 Jahren aus dem Leipziger Stadtzentrum nahezu verschwunden. Foto: Beatrice Jeschke
Die Amseln sind innerhalb von 10 Jahren aus dem Leipziger Stadtzentrum nahezu verschwunden. Foto: Beatrice Jeschke

Genau das ist jedoch nicht der Fall! Die Maßnahmen, die in der Teilbaugenehmigung angeordnet werden, reichen nicht aus, um die lokale Population der nach EU-Recht und nach Bundesnaturschutzgesetz geschützten Vogelarten zu erhalten. Und die „Ausweichmöglichkeiten“, auf die stets verwiesen wird, existieren ebenfalls nicht! Wenn es geeignete Lebensräume in der Umgebung geben sollte, sind diese bereits von Brutvögeln besiedelt und stehen den vertriebenen Individuen vom Wilhelm-Leuschner-Platz nicht zur Verfügung. Weit schwer­wiegender ist jedoch die Tatsache, dass solche geeigneten Lebensräume im Umfeld überhaupt nicht existieren und aufgrund der fortgesetzten Beton­politik der Leipziger Stadtplanung in der gesamten Stadt sogar mehr und mehr verloren gehen. Die Amseln sind innerhalb von 10 Jahren aus dem Stadtzentrum nahezu verschwunden. Gelbspötter, Nachtigall und Dorngrasmücke verlieren nicht nur hier ihren Platz, sondern sind bereits von allen anderen Brachflächen verdrängt worden. Die Leipziger Parkanlagen sind übernutzt, werden naturfern, allein nach Denkmalschutzgesichtspunkten „gepflegt“, sie sind aufgrund dessen als Lebensraum für die betreffenden Arten überhaupt nicht geeignet. Appelle des NABU, für mehr Biodiversität in den Parkanlagen zu sorgen, sind seit vielen Jahren weitgehend unberücksichtigt. Stellungnahme zum Bebauungsplan

 

Wo sind die angeblichen Ausweichflächen?

Mehrfach hat der NABU Leipzig die Stadt Leipzig aufgefordert, die angeblichen Ausweichflächen zu benennen, auf die betroffene Vögel ausweichen sollen. Diese Anfragen sind unbeantwortet. Insbesondere wurde nicht dargelegt, wo denn die Ausweichflächen für die Vögel vom Wilhelm-Leuschner-Platz konkret sein sollen. Eine pauschale Behauptung, dass es solche Flächen gebe, ist nach Auffassung des NABU nicht ausreichend!

 

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Geplante Ausgleichsmaßnahmen sind ökologisch wirkungslos

Am 31.01.2022 gab es im Verwaltungsgericht einen sogenannten Erörterungstermin mit der zuständigen Richterin. Dabei hatte der Vorhabenträger angeboten, auf dem gesamten Areal vorrübergehend eine Gruppe von 5 Bäumen und einige Sträucher zu erhalten. Außerdem wurde auf eine Begrünung des Gebäudes an der Fassade und auf dem Dach verwiesen. Diese Maßnahmen stellen jedoch keinen langfristigen ökologisch wirksamen Ersatz für die verloren gehenden Lebensraumfunktionen dar. Deshalb konnte der NABU bei diesem Termin keinem Vergleich zustimmen. Vielmehr verwies der NABU darauf, dass nach dem Bundesnaturschutzgesetz ein vorgezogener Ausgleich erforderlich ist, der den Erhaltungszustand der lokalen Vogelpopulation sichert.

Bereits 2013 hatte der NABU Leipzig auf diese Problematik hingewiesen und dies nachfolgend immer wieder erneuert. Leider entspricht die Stadtplanung nicht den Erfordernissen des Biotop- und Artenschutzes und die Lebensstättenvernichtung auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz wurde ungerührt vorangetrieben.

 

Vollendete Tatsachen um jeden Preis: Unter dem Vorwand einer „Verkehrssicherungsmaßnahme“ wurden am 25.01.2022 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz schon wieder Lebensstätten von Rotkehlchen und Nachtigall vernichtet. Foto: NABU Leipzig
Vollendete Tatsachen um jeden Preis: Unter dem Vorwand einer „Verkehrssicherungsmaßnahme“ wurden am 25.01.2022 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz schon wieder Lebensstätten von Rotkehlchen und Nachtigall vernichtet. Foto: NABU Leipzig

Das ganze Vorgehen am Wilhelm-Leuschner-Platz ist nicht nur verwaltungsrechtlich fragwürdig. Angesichts von Klimakrise und Artensterben müsste die Stadtplanung dringend umsteuern und für mehr Biodiversität und für den Erhalt vorhandener Lebensräume sorgen. Warum im Gegensatz dazu die Stadtverwaltung alles unternimmt, so schnell wie möglich so viele Bäume wie möglich zu fällen und so viele Sträucher wie möglich zu roden, ist nicht zu verstehen! Der ökologische Wert der Sträucher und der notwendige Schutz der Lebensstätten wird permanent bestritten, lediglich Fragen des Baumschutzes werden ansatzweise berücksichtigt. Der Wilhelm-Leuschner-Platz ist dabei nur eine von vielen Grünflächen, bei denen der Biotop- und Artenschutz missachtet wird.

 

Bäume und Sträucher sind Lebensraum

Deutschland hat das Rotkehlchen zum Vogel des Jahres 2021 gewählt - in Leipzig werden seine Lebensräume zerstört. Foto: Karsten Peterlein
Deutschland hat das Rotkehlchen zum Vogel des Jahres 2021 gewählt - in Leipzig werden seine Lebensräume zerstört. Foto: Karsten Peterlein

Im Januar hat der Stadtrat beschlossen, dass keine vorzeitigen Rodungen und Fällungen auf stadteigenen Grundstücken mehr erfolgen sollen. Trotzdem wurden kurz darauf auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz erneut vollendete Tatsachen geschaffen. Unter dem Vorwand einer „Verkehrssicherungsmaßnahme“ wurden Sträucher gerodet und Bäume gefällt. Damit sind nachweislich Lebensstätten von Nachtigall und Rotkehlchen ersatzlos vernichtet worden. Ein weiterer Beitrag der Stadt Leipzig zum Artensterben.

Zudem geht der Stadtratsbeschluss nicht weit genug. Er verhindert nur die Fällungen vor Erteilung einer Baugenehmigung, was ohnehin selbstverständlich sein sollte. Und er betrifft auch nur stadteigene Grundstücke. Außerdem soll er nicht gelten für Grundstücke, auf denen Schulen oder Kitas gebaut werden sollen. Warum sollen ausgerechnet Kinder in einer vollständig gerodeten Umgebung lernen und spielen? Die Planungen für Kita- und Schulneubauten oder Erweiterungen und Sanierungen umfassen in den meisten Fällen die Komplettrodung des Umfeldes, in welchem sich später die Kinder aufhalten. Dabei ist Naturerfahrung für die Kinder unerlässlich. Ein naturnahes Umfeld bietet Aufenthaltsräume, regt zum Spielen und Bewegen an und schafft Platz zum Erholen und für Naturerlebnisse.

 

Beton statt Nachtigall

Bis vor kurzem sangen noch Jahr für Jahr mehrere Nachtigallen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Wo werden Kinder in Zukunft mitten in der Stadt diese Vögel noch erleben können? Der NABU hofft, dass die Stadtpolitik das Negativbeispiel Wilhelm-Leuschner-Platz zum Anlass nimmt, endlich konsequent den Biotopschutz zu gewährleisten.

 

2019 sangen noch mindestens 4 Nachtigallen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Foto: Dr. Martin Grimm
2019 sangen noch mindestens 4 Nachtigallen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Foto: Dr. Martin Grimm

Trauriger Tag für Natur und Klimaschutz

Baumfällarbeiten auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz gehen weiter

Nachdem der Eilantrag des NABU Sachsen weitgehend erfolglos war, gingen am 11. Februar 2022 die Baumfällungen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz weiter. Der NABU Leipzig war vor Ort, um zu protestieren und um die Arbeiten zu dokumentieren.

»Für eine baumstarke Stadt«   »Leipzig – Kommune der biologischen Vielfalt«
  »Leipzig wächst nachhaltig.«  
»Stadtgrün wertschätzen – für eine klimaresiliente und naturnahe Grünflächenentwicklung«   »Leipzig – Kommune der Lippenbekenntnisse«

 

Fotos: NABU Leipzig

 

Auch an vielen anderen Stellen in der Stadt kreischen dieser Tage die Kettensägen, das ist alljährlich im Februar ein trauriges Phänomen, denn im März beginnt die gesetzliche Gehölzschutzzeit, die allerdings erfahrungsgemäß auch nicht garantiert, dass dann keine Bäume mehr gefällt werden. In Leipzig werden immer mehr Lebensräume vernichtet, der Klimanotstand wird ignoriert. Verzweifelte Menschen rufen um Hilfe, bitten den NABU Leipzig um Unterstützung. Leider überfordert die Vielzahl der Zerstörungen die ehrenamtlichen Möglichkeiten des Naturschutzvereins. Der NABU Leipzig meldet einige Fälle den Behörden, NABU-Mitglieder sind in ihrer Freizeit soviel wie möglich vor Ort, um Daten zu sammeln, doch die Stadtverwaltung setzt leider ihre Betonpolitik fort. Der Wilhelm-Leuschner-Platz ist ein prominentes Beispiel für diese unzeitgemäße und rücksichtslose Stadtplanung. Noch besteht die Hoffnung, dass die Naturzerstörung ein Umdenken auslöst, auch juristisch wird der NABU weiterhin versuchen, dafür zu streiten. Die Bäume und Sträucher aber sind weg, die Lebensräume sind vernichtet, die Tiere vertrieben. Leipzig ist einmal mehr die Stadt der toten Tiere und auf dem Weg zur baumfreien Stadt.


Bürgerbegehren Leipziger Stadtnatur

Unterschriftensammlung gegen Rodungen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz

Foto: NABU Leipzig
Foto: NABU Leipzig

Angesichts der Rodungsarbeiten auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz haben sich Anwohner und die Bürgerinitiative Leipziger Stadtnatur an die Öffentlichkeit gewandt. Sie bitten darum, ihr Bürgerbegehren zu unterstützen. Unterschriftenlisten liegen an vielen Stellen in Leipzig aus, beispielsweise in Geschäften und Cafés. Zudem sind die Unterschriftenlisten online abrufbar, man kann sie ausdrucken und selbst Unterschriften sammeln. Ziel sind mindestens 25.000 Unterschriften; 5.000 sind bereits gesammelt. Mit dem Bürgerbegehren soll die massive Bebauung des Wilhelm-Leuschner-Platzes und die Rodung der Gehölze aufgehalten werden. Dieser Platz mitten in Leipzig steht auch stellvertretend für viele andere Baumbestände in der Stadt, die für eine nicht mehr zeitgemäße Stadtentwicklung überplant und gerodet werden. Es geht – auch angesichts des Klimawandels – um die Frage, wie die Menschen in Leipzig künftig leben wollen. Weitere Informationen