Ein Schritt vor, zwei zurück

NABU Leipzig lehnt Verwässerung des Insektenschutzes ab

Dem Leipziger Stadtrat wurde der „Maßnahmenkatalog zum Schutz von Wild- und Honigbienen in Leipzig“ zum Beschluss vorgelegt. Angesichts des dramatischen Insektensterbens und dem damit Hand in Hand gehenden Verlust von Biodiversität sind Maßnahmen zum Insektenschutz dringend erforderlich, der nach über 4 Jahren vorgelegte Maßnahmenkatalog ist damit mehr als überfällig.

Schon am 11.09.2019 hatte der NABU Leipzig in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Maßnahmenkatalogs wichtige Hinweise zur Verbesserung des Insektenschutzes gegeben, basierend auf den Erfahrungen, die der NABU Leipzig im Stadtgebiet sammeln konnte. Mit dem vorgelegten Entwurf nach umfangreicher Beteiligung Leipziger Naturschutzverbände war der NABU zufrieden und freute sich, dass die „Kommune der Biologischen Vielfalt“ endlich einmal einen Schritt in die richtige Richtung gehen wollte. Dass nicht nur die Bienen, sondern alle Insekten im Fokus sein sollen und Insektenschutz bei Planungs- und Pflegeprozessen berücksichtigt werden soll, bewertete der NABU positiv. Nur noch ein Wunsch blieb offen: Eine rasche praktische Umsetzung der Maßnahmen. Dafür hätte der Stadtrat gleich noch eine konkrete Finanzierung beraten können.

Stattdessen wurde sehr kurzfristig (der Änderungsantrag war erst nach der Stadtratssitzung am 12.10.2022 im Ratsinformationssystem eingestellt) ein Änderungsantrag zum Bienenkatalog eingebracht.

 

Die Honigbienendichte im Stadtgebiet von Leipzig, Stand Mai 2022. Quelle: Veterinäramt Leipzig
Die Honigbienendichte im Stadtgebiet von Leipzig, Stand Mai 2022. Quelle: Veterinäramt Leipzig

Ein wesentlicher Bestandteil des bisher vorliegenden Maßnahmenkatalogs war die Regulierung von Honigbienenvölkern, die bisher im Stadtgebiet fehlt. Die genannten Maßnahmen bezogen sich auf die Förderung gefährdeter Insektenarten und eben nicht auf die Förderung von Honigbienen, bei denen es sich um kommerzielle Nutztiere des Menschen handelt. Das unregulierte Aufstellen von Honigbienenvölkern im gesamten Stadtgebiet beeinflusst die Artenvielfalt in der Insektenwelt negativ, unter anderem weil Honigbienen als Nahrungskonkurrenten auftreten. Problematisch ist an dieser Stelle, dass die steigende Zahl von Honigbienenvölkern im Stadtgebiet in der Argumentation unberücksichtigt bleibt. Während also die Konkurrenz für Wildbienen steigt, verschwinden zugleich die für die Wildbienen essenziellen Lebensräume immer weiter.

Mit dem nun beschlossenen Änderungsantrag werden die Inhalte, welche mühsam durch die Umweltverbände und die Naturschutzbehörde erkämpft wurden, wieder aufgeweicht. Die negativen Auswirkungen des Stadtimkerns auf heimische Insektenarten werden mit dem Änderungsantrag relativiert, Krankheitsübertragungen oder die vom NABU Leipzig zusammengetragenen Bestandszahlen, die Erfahrungswerte im Stadtgebiet oder wissenschaftliche Erkenntnisse werden ausgeblendet. Die erarbeiteten Inhalte wie Vorsorgeprinzip, mögliche Mindestabstände und Obergrenzen ersatzlos und komplett zu streichen, ignoriert wissenschaftliche Erkenntnisse und die Argumente der Naturschutzverbände, was angesichts der eigentlichen Absicht, die heimischen, gefährdeten Insektenarten und die Biodiversität zu fördern, vollkommen unverständlich ist.

Die Komplexität von Ökosystemen wird heruntergebrochen auf ein paar Blühstreifen. Blühstreifen werden aber gefährdeten Wildbienen und anderen Insektenarten nicht helfen, sondern nur Honigbienen fördern. Ein flächenkonkreter Nachweis von Nahrungskonkurrenzen scheitert an der fehlenden Finanzierung, deshalb ist diese Formulierung abzulehnen.

 

Honigbienen sind Konkurrenten für blütenbesuchende heimische Insekten. Foto: NABU/CEWE/Ellen Swierczyna
Honigbienen sind Konkurrenten für blütenbesuchende heimische Insekten. Foto: NABU/CEWE/Ellen Swierczyna

Das fehlende Verständnis für ökologische Zusammenhänge spiegelt sich in zahllosen Negativbeispielen wider. So gibt es beispielsweise im Bereich der stillgelegten Deponie Seehausen wertvolle Wildbienenhabitate. Diese sollen aus kommerziellen Interessen zerstört werden. Als Ausgleich wird Straßenbegleitgrün vorgeschlagen, das den Verlust der ökologischen Funktionen in keiner Weise ersetzen kann, und Wildbienen nicht hilft. Mit immer neuen ökologisch wertlosen Kompensationsmaßnahmen (wenn es denn überhaupt Kompensationsmaßnahmen gibt) schreitet der Verlust der Lebensräume und der Artenvielfalt fort. Deshalb sind Maßnahmen zum Insektenschutz so wichtig – doch ein weiteres Mal wird hier die Chance vertan, etwas für den Schutz der Biodiversität und der Lebensqualität zu leisten. Leipzig fördert das Artensterben.

Von insektenfreundlichen Landschaften sind wir weit entfernt. Besonders Wildbienen haben aufgrund vielseitiger Spezialisierungen hohe Ansprüche an ihren Lebensraum. Deshalb ist der Schutz solcher Refugien unerlässlich. Stattdessen aber werden Lebensräume in der Leipziger Praxis sogar dann vernichtet, wenn gefährdete Wildbienenarten konkret nachgewiesen wurden.

Um gegenzusteuern könnten wenigsten jene Flächen, die als Stadtgrün nicht von Bebauung bedroht sind, insektenfreundlich gepflegt werden. Seit mehr als 3 Jahren sind die Naturschutzverbände an der Entwicklung des Parkpflegekonzepts beteiligt, bis heute aber wird keine einzige Grünfläche im Eigentum der Stadt Leipzig insektenfreundlich bewirtschaftet. Die Chancen zur Förderung der Biodiversität werden ignoriert und blockiert.

Es ist notwendig, dass das Aufstellen von Honigbienen im Stadtgebiet reguliert wird. Man kann Wildbienen oder andere Arten nicht einfach Umstellen wie Honigbienen. An keiner Stelle werden Honigbienen benachteiligt. Im Gegenteil, sie werden bevorzugt und eine Regulierung ist ein wichtiger Baustein bei Maßnahmen gegen das Insektensterben. Der Änderungsantrag geht aus fachlicher Sicht völlig am Hauptanliegen „Maßnahmen gegen das Insektensterben“ vorbei.

Wichtiger wäre gewesen, mit Hilfe eines Änderungsantrags eine finanzielle Untersetzung für eine zügige praktische Umsetzung der Maßnahmen zu erreichen. Die Bedeutung des Artenschutzes wurde leider ein weiteres Mal ignoriert und anderen Bedürfnissen geopfert. Der Änderungsantrag konterkariert die jahrelangen Bemühungen der Naturschutzverbände, er wird daher in dieser Form vom NABU Leipzig abgelehnt.


NABU Leipzig begrüßt den längst überfälligen Bienenkatalog und fordert schnelle Umsetzung

Im Stadtrat steht der „Maßnahmenkatalog zum Schutz von Wild- und Honigbienen in Leipzig“ auf der Tagesordnung. Der NABU Leipzig begrüßt diesen Fortschritt für den Schutz heimischer Insekten, auch wenn er nach mehr als 4 Jahren längst überfällig ist. Pressemitteilung

 

Sandbiene an Apfelblüte. Foto: NABU/Andreas Hurtig
Sandbiene an Apfelblüte. Foto: NABU/Andreas Hurtig

Schon am 11.09.2019 hat der NABU in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Maßnahmenkatalogs wichtige Hinweise zur Verbesserung des Insektenschutzes gegeben, basierend auf den Erfahrungen, die der NABU Leipzig im Stadtgebiet Leipzig sammeln konnte. Mit dem Beschluss des Kataloges werden nun endlich die Weichen gestellt für eine Umsetzung in der Praxis. Das Thema Insektenschutz soll fortlaufend im Fokus stehen, der NABU hofft, dass es im gesamten Stadtgebiet wirksame Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität geben wird. Der NABU freut sich, dass erreicht werden konnte, dass mit dem Maßnahmenkatalog langfristig nicht nur Bienen, sondern alle Insektenarten bei Planungs- und Pflegeprozessen berücksichtigt werden sollen.

Städte sind inzwischen für viele Arten die letzten Rückzugsräume. Ein Großteil der Wildbienen nistet in offenen Bodenstellen wie Trampelpfaden in Parkanlagen, zwischen Pflasterfugen auf Wegen und auf Brachflächen. Leider gehen diese letzten Lebensräume durch die stetig weiter fortschreitende Bebauung verloren, ökologisch wertvolle Flächen werden rücksichtslos versiegelt. Gravierend für viele Insekten ist auch der Verlust der Nahrungspflanzen, die vielfach noch immer als „Unkraut“ bekämpft werden. Somit gehen mehr und mehr Lebensräume für diese Pflanzen, für Wildbienen und andere Tierarten verloren, und das Artensterben schreitet voran.

 

Rasantes Insektensterben

Foto: NABU/Helge May
Foto: NABU/Helge May

Das Insektensterben wurde 2019 durch die „Krefelder Studie“ auch medial aufgegriffen und gelangte ins Bewusstsein vieler Menschen. Seitdem sind zahlreiche weitere Untersuchungen und Metastudien publiziert worden, die das Insektensterben belegen. Das iDiv konnte mit 166 Langzeitstudien an 1.700 Standorten in 41 Ländern belegen, dass der durchschnittliche Rückgang der terrestrischen Insekten knapp 9% pro Jahrzehnt beträgt. Die Erfassungen von Wildbienen und Wespen im NSG Burgaue im Rahmen des Auwaldkranprojektes konnte innerhalb von 14 Jahren (2002 bis 2016) einen Rückgang der Artenanzahl von 49% und einen Rückgang der Individuenanzahl um 71% belegen. Weitere Informationen

Vom Insektensterben sind nicht nur Bienen, sondern auch viele andere Insektenarten betroffen, und das Sterben findet überall statt, auch vor unserer Haustür. Wenn Insektenarten verschwinden, ist das vielleicht weniger auffällig als bei anderen Arten, doch das Artensterben bei Insekten geschieht bis zu achtmal schneller als bei Säugetierarten und es hat schwerwiegende Folgen. Das Verschwinden von Wanzen, Blattläusen, Heuschrecken und Co. hat direkte Auswirkungen auf das Nahrungsangebot für Singvögel und Fledermäuse, Schmetterlinge sind essenziell für die Bestäubung einiger Pflanzenarten, die Blüten mit tiefen Kelchen haben. Somit geht der Rückgang heimischer Pflanzenarten Hand in Hand mit einem Rückgang von Insekten, die sich nur von bestimmten heimischen Pflanzen ernähren oder bestimmte Pflanzen bestäuben.

 

Schnelle Umsetzung nötig

Mit einer zügigen Umsetzung der beschriebenen Maßnahmen können Wildbienen und andere Insektenarten stärker bei Bauplanungen berücksichtigt werden, ebenso kann endlich eine insektenfreundliche Pflege in den städtischen Grünanlagen umgesetzt werden, denn die noch immer praktizierte und wenig zeitgemäße Pflanzung von Zierarten und Exoten leisten keinen Beitrag zur Förderung der Biodiversität, da sie Insekten keine Nahrung bieten. Weitere Informationen

 

 

Die Honigbienendichte im Stadtgebiet von Leipzig, Stand Mai 2022. Quelle: Veterinäramt Leipzig
Die Honigbienendichte im Stadtgebiet von Leipzig, Stand Mai 2022. Quelle: Veterinäramt Leipzig

Der NABU Leipzig begrüßt, dass eine zeitgemäße Differenzierung zwischen Honigbienen und gefährdeten Wildbienen im Maßnahmenkatalog berücksichtigt wird, denn beim Nutztier Honigbiene können Imker Verluste ausgleichen, Wildbienen hingegen sind bedrohte Arten. Auf der Internetseite www.Wildbienen-Leipzig.de klärt der NABU über dieses Thema auf, denn in Leipzig hat sich die Zahl der Imker sowie die Anzahl der Honigbienenvölker im Stadtgebiet in den letzten 6 Jahren nahezu verdoppelt. Eine Karte mit den Standorten von Honigbienenvölkern verdeutlicht die hohe Dichte von Völkern im Stadtgebiet und zeigt auf, dass Honigbienen aufgrund ihres großen Flugradius im gesamten Stadtgebiet und sogar in allen Naturschutzgebieten zu finden sind. Sie können für gefährdete Insektenarten Nahrungskonkurrenten und Krankheitsüberträger sein. Wer etwas gegen das Bienensterben unternehmen möchte, kann sich auf der Internetseite informieren, welche Pflanzen zur Förderung von Wildbienen sinnvoll sind.

 

Beratungsangebot des NABU Leipzig

Zudem gibt es beim NABU Leipzig die Hautflüglerberatung. Dort werden alle Fragen rund um Wildbienen inklusive Hummeln sowie Wespen inklusive Hornissen von einer Sachverständigen beantwortet. Bei Konflikten mit den Tieren können Nester auch umgesiedelt werden. Das Beratungsangebot umfasst auch Möglichkeiten zur Förderung von Wildbienen, denn mit Insektenhotels werden nur wenige ungefährdete Arten unterstützt. Deshalb berät der NABU Leipzig auch zur Anlage von Sandarien für Erdnister, die zum Beispiel im Botanischen Garten Leipzig, in der Rietzschkeaue Sellerhausen und in Kleingärten erfolgreich besiedelt wurden.

Auch Wespen gehören zu den Bestäubern, sie bestäuben zusammen mit Käfern etwa ein Drittel aller heimischen Blütenpflanzen. Durch das Aufklärungsangebot des NABU Leipzig können viele Wespennester verbleiben und Vorurteile gegenüber Wespen abgebaut werden, ein wirksamer Beitrag gegen das Insektensterben.

 

Gewöhnliche Sandwespe. Foto: NABU/Helge May
Gewöhnliche Sandwespe. Foto: NABU/Helge May

Bei Themenfeldern wie Pestizideinsatz, Landwirtschaft und Grünflächenpflege ist der Handlungsbedarf in Leipzig hoch. Noch immer werden zahlreiche Ausnahmegenehmigungen zum Pestizideinsatz erteilt und auch die nicht nachhaltige konventionelle Landwirtschaft nimmt noch immer den Großteil der verpachteten Landwirtschaftsflächen ein. Eine zeitgemäße Umstellung zum Ökolandbau ist nicht in Sicht, obwohl die Zeit drängt. Das Aufstellen von Honigbienen in hoher Völkerdichte und das Anlegen von einjährigen Blühstreifen leisten keinen Beitrag gegen das Artensterben. Dies gilt auch für den Einsatz exotischer Arten bei Baum- und Strauchpflanzungen sowie für Samenmischungen, die oft nicht nach Kriterien der Biodiversitätsförderung zusammengestellt sind. Möglichkeiten der Biodiversitätsförderung bei Bauprojekten und Gebäudesanierungen werden fast gar nicht genutzt, vielmehr sind sie meist ein Beitrag zur weiteren Lebensraumvernichtung.

Deshalb braucht es einen konsequenten Stadtratsbeschluss, welcher endlich die Weichen für den Schutz und die Förderung von Insekten stellt und Maßnahmen dafür finanziell unterlegt. Es ist längst Zeit zu handeln, wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen. 

 

Leider wurde in der entscheidenden Stadtratssitzung sehr kurzfristig ein Änderungsantrag eingebracht, der die mühsam erkämpften Inhalte wieder aufgeweicht. Ein weiteres Mal wird hier die Chance vertan, etwas für den Schutz der Biodiversität und der Lebensqualität zu leisten. Leipzig fördert das Artensterben. Der Änderungsantrag geht aus fachlicher Sicht völlig am Hauptanliegen „Maßnahmen gegen das Insektensterben“ vorbei und wird vom NABU Leipzig daher abgelehnt.